»Vokaler Zauber, direkt ins Herz«
Berühmte Stimmen waren in Pirna zu erleben: der Poznaner Knabenchor bereiste Sachsen & Bayern und berührte hunderte Zuhörer mit einem herzzerreißenden Programm. ‚Der Klang Europas‘ war ein Versprechen mit Tiefgang.
Das Konzert: unerhört hörenswert
Das Konzert begann mit einem Franziskanischen Vers des 17. Jh.: eine gregorianische Melodie wird zum Einzug vom Männerchor in ein beeindruckendes Klangfundament gegossen um das ‚Wort‘ sogleich an die Knaben im zweiten Choral zu übergeben. Ein simpler Kanon mit Echo und weichem Bordun der Männer welcher sich zu einem euphorischen Hymnus verwebt. Eine tolles Präludium im riesigen Kirchraum der Pirnaer Marienkirche.
Konzertmitschnitt des Poznaner Knabenchores in Pirna
Die folgende Moderation eines jungen Sängers zeugte von guten Manieren und Wertschätzung: in feinem Deutsch begrüßte Alex (siehe Interview) die Besucher – eine unerwartete und liebe Geste die nicht selbstverständlich war.
Der erste Programmteil beinhaltete vorrangig geistliche Werke vom Frühbarock bis in die Neuzeit und spannte den Bogen von der Gregorianik bis zu Werken von Chorleiter Sykulski selbst. Hierbei brillierte der Chor mit klanglicher Transparenz. Das In prima missa Nativitatis Domini von Mikolaj Zielenski etwa wurde durchaus kraftvoll, durch den satten Männerchorklang in Anleihen fast zu romantisch interpretiert und behielt doch seine polyphone Spielfreude. Das ‚call – response‘ (Frage, Antwort) Prinzip in Reinstform. Ein feuriger Esprit war bei den kleinen Jungs in der Sopran-Reihe zu spüren. Der Stil erinnerte an das beliebte ‚Jubilate Deo‘ von Giovanni Gabrieli, wie etwa der Dresdner Kreuzchor oder die Thomaner es gern singen.
Beitrag im MDR Sachsenspiegel am 7. Mai 2023 über das Konzert.
Hier finden Sie den zum vollständigen Artikel.
Das nachdenkliche Glaubensbekenntnis Parce Domine aus der Zeit der Romantik gab einen stimmungsvollen Auftakt zu moderneren Werken. Ein schillernder, nicht allzu aufdringlicher Countertenor im Gesamt-Chorklang, eindrucksvolle Diminuendi und ein samtener Bass-Teppich verwöhnten die Ohren mit Wohlklang. Sykulskis Kompositionskünste schlossen direkt an und ließen so einige Tränen kullern: Angelus Domini, Ave Maria. Ein Stück wie ein Maßanzug für den Poznaner Knabenchor. Die Mischung aus säuselnden, improvisierten Klangwolken und darüber schwebenden Sopran-Terzen in simplen Harmonien ließen den Chor beinahe schwerelos durch den Kirchraum gleiten. Der markante Klang von den Countertenören Piotr und Radoslaw (Solo) gepaart mit dem durchdringenden, aber weichen Männerchorklang schafften Momente der Unendlichkeit. Ein tosender Applaus welcher vollends gerechtfertigt war und erste Tempo-Taschentücher erforderte.
In Memoriam: der Klang Europas
Betitelt mit ‚Der Klang Europas‘ verwies das Programm auch auf dunkle Kapitel der Geschichte. Insgesamt drei Motetten befassten sich heuer mit der zerstörerischen Vergangenheit Mitteleuropas im 20. Jahrhundert. Das Lacrimosa von Preisner ist ein Ausschnitt aus dessen Totenmesse ‚Requiem für einen Freund‘ und widmet dem berühmten polnischen Filmregisseur Kieslowski den mit Abstand schönsten Teil dieser Messe, arrangiert von Chorleiter Jacek Sykulski. Aus dem Nichts heraus wurde das Publikum mit Andacht und Einkehr umgarnt: eine herzzerreißende Melodie von Igor (Sopran) und Piotr (Altus), den Solisten, welche in einer eindringlichen Repetition kulminierte.
Mit ‚a thousand winds‘ (deutsch: tausend Winde) zitierte Sykulski’s anschließendes Werk aus einem Gedicht der 1930er Jahre welches im Rahmen des 80. Gedenktages zum Aufstand im Warschauer Ghetto im Nationalmuseum Polens aufgeführt wurde. Eindrucksvolle Musik, welche gezielt mit harmonischen Effekten und Dissonanzen spielt und die Botschaft des Gedichts abbildete.
‚Steh nicht an meinem Grab und weine. Ich bin die tausend Winde, ich bin der Glanz im Schnee, ich bin die Sonne die scheint, […] Ich bin nicht weg, ich bin nicht tot, ich bin immer da‘
Even when he is silent beschloss den sakralen Programmteil und ist ein all-time classic der Sänger, zählt gewissermaßen als Aushängeschild des Poznaner Knabenchores. Ein Werk über die Hoffnung in dunkelsten Stunden vertont einen Text, welcher in Köln im 2. Weltkrieg von einem Juden an eine Mauer gekritzelt wurde und Komponisten bis heute inspiriert. Man könnte dieses Stück in seinem modernen, effektvollen Stil im ‚Einheitsbrei‘ nordeuropäischer Schönklänge des 21. Jahrhundert abstempeln. Doch entlockt die Komposition eindrucksvoll die schiere Bandbreite an Dynamik und die fulminante Strahlkraft der lediglich 45 Sänger. ‚I believe in God‘ heißt es schließlich wiederholt im Text: es sind Minuten aus Jahrhunderten in eine Zeile vereint, ein Manifest. Man vermochte kaum zu atmen. Ein vokaler Zauber welcher direkt ins Herz traf. Bravo!
Das traditionelle Erbe: erfrischend!
Der ‚evergreen‘ von Miskinis ‚Omnis Terra Adoret Te‘ (‚Alle Welt betet ihn an‘) kommt zur rechten Zeit: die Klangsprache ist erfrischend und der Schwermut der vorigen Werke verfliegt in Sekunden. Es folgten für ein ‚klassisches‘ Knabenchorkonzert durchaus unüblich Werke: eine klare Differenzierung zu einer teils konservativen Erwartungshaltung an das Repertoire die Freude macht.
Der Chor erblühte in einer ‚Polonaise‘, einem traditionellen, polnischen Tanz – teils einem Marsch ähnelnd. Hier waren die Jungs zu Hause: ein Traditional gewissermaßen welches wohl in jedem zweiten Haushalt Polens tagein, tagaus gesungen wird und zur Preisverleihung des Kultusministeriums an Dirigent Sykulski am 11. November 2022 in der Warschauer Kathedrale (Nationalfeiertag) das gesamte Publikum (!) zum Mitsingen brachte. In Deutschland wäre solch Situation lediglich mit Helene Fischers ‚Atemlos‘ zu realisieren, welches wiederum mit der Vermittlung von Traditionen und Werten wenig vereinbar wäre. Diese Stückwahl spricht klar für die Wahrung des traditionellen Musikerbes, welches der Chor bewahrt.
Einige scharfe Spitzen und Patzer in den endlosen Girlanden im Sopran zwischen unüberhörbar vielen, kaum zusammenzubringenden zisch- und ess-Laute gehen mit der Natur der polnischen Sprache einher: ein Deutscher wäre damit restlos überfordert. Sicher könnte das Stück in bürokratischer Akkuratesse intonatorisch sauberer präsentiert werden und somit sich jedem Überbleibsel an Pathos entledigen. Diesen kleinen qualitativen Abstrichen stand aber pure Leidenschaft gegenüber: eine freudige Launigkeit, leicht angeschwippst durch den selbstgebrannten Likör vom Onkel, um metaphorisch ein Klischee unserer Polnischen Nachbarn zu bemühen.
Wer nun noch nicht immer nicht überzeugt von der Authentizität der Darbietungen war wurde mit den abschließenden drei Hits der Neuzeit direkt an der Haustür abgeholt: Leonard Cohens ‚Hallelujah‘ gehörte für viele Zuhörerinnen und Zuhörer zu den Höhepunkten, wie auch der MDR Sachsenspiegel in seiner Nachbetrachtung im Fernsehen berichtete. Ein wenig komplexes aber stimmungsvolles Arrangement, auf die Stärken des Chores ausgelegt. Der kleine Sopran-Solist, vorab im Lacrimosa wie auch Ave Maria zu hören, konnte abermals stimmlich glänzen. Glänzend erschienen danach auch viele Augen im Publikum: berührend. Das Südafrikanische Imbakwa beschloss den zweiten Teil: Hradek, 19 Jahre alt, Sänger im Tenor überraschte mit seiner poppigen Tenor- wie auch knabenhaften Kopfstimme als Solist. Ein flippiger ‚Rausschmeißer‘, andersartig und frei von Konventionen bevor das berühmte Ameno von ERA aus den 1990er Jahren einen Kontrapunkt zum Beginn des Konzertes setzte.
Der 14-Jährige Alex verabschiedete das Publikum humorvoll und herzlich, dankte den Gastgebern und Partnern ausführlich. Minutenlanger Applaus und standing ovations bescherten den etwa 400 Gästen zwei weitere vokale Geschenke welche den Abend krönten: ‚Kein schöner Land‘ und das toll arrangierte ‚Nearer my god to thee‘ in vollends neuem Gewand ließen die kleinen Jungs und jungen Herren von Fremden zu Freunden werden welche nur schweren Herzens in den Abend entlassen wurden.
Besonderer Dank
Als wichtiger Unterstützer zur Einladung des Poznaner Knabenchores von Klassik Deluxe ist es der Verdienst einzelner Personen um solch junge Talente ins Elbtal zu holen. Christian Simchen, Geschäftsführer der BSI Ingenieurgesellschaft Dresden hat durch sein persönliches Engagement und Interesse mit seiner Firma an der Förderung junger Talente großen Anteil um dem Knabenchor die Rahmenbedingungen für die Konzertreise nach Pirna und Bayreuth über insgesamt vier ganze Tage und 1.500 km Reise zu ermöglichen. Ein nötiges Fundament welches nach der Pandemie selten Realität wird und in diesen unendlich wertvoll ist.
Mit diesem Konzert ging für alle Beteiligten ein großer Wunsch in Erfüllung. Vielen Dank zudem an den MDR Sachsenspiegel für die tolle Berichterstattung in Bild und Ton sowie im schriftlichen Beitrag.
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Besetzung
- Rolle
- Dirigent
- Name
- Jacek Sykulski
Der Klang Europas
Berühmte Stimmen waren in Pirna zu erleben: der Poznaner Knabenchor bereiste Sachsen & Bayern und berührte hunderte Zuhörer mit einem herzzerreißenden Programm. ‚Der Klang Europas‘ war ein Versprechen mit Tiefgang.